Familienleben ohne Auto – Geht das?

Natürlich geht das. Bis zu meinem 16. Lebensjahr besaß meine Familie kein Auto, bis sich meine Schwester eines zulegte, um bequemer auf Arbeit zu kommen und anschließend ich mir eins zulegte, damit ich überhaupt zur Arbeit fahren konnte. Aber alles der Reihe nach:

Meine Eltern lebten schon vor der Geburt meiner Schwester und mir längere Zeit ohne Auto. Und als wir dann da waren, änderte sich auch nichts daran, denn ein Familienleben ohne Auto ist gar nicht so kompliziert, wie man glauben könnte. Die häufigste Frage meiner fast schon schockierten Freunde, wenn ich ihnen erzählte, dass wir kein Auto hätten, war diese: „Aber wie fahrt ihr denn dann in den Urlaub?“

Man kann es kaum glauben, aber Ja, wir sind auch ohne Auto zu unserem Urlaubsziel gekommen.

Urlaub ohne Auto

An sich hatte meine Familie bis auf ein paar Ausnahmen zwei Reiseziele, die wir in den Sommerferien regelmäßig besuchten: Warnemünde an der Ostsee und Lindau im schönen Bodensee.

Die Reise selbst bestritten wir von Erlangen aus mit der Deutschen Bahn. Und wenn man mit der Deutschen Bahn streiten könnte…Nunja, sicherlich kamen auch mal viele Züge zu spät, aber tatsächlich kamen wir dann doch auch ohne Auto am Ziel an; und das ganz ohne lästigen Ferienstau.

Nach Lindau nahmen wir seit ich denken und Fahrrad fahren kann unsere Räder mit. Sie lassen sich in den Regionalbahnen super bequem mitnehmen. Die Fahrradabteile sind in Ordnung und bieten normalerweise genügend Platz, wenn nicht gerade eine Sonntagsradlergruppe am Montag zusteigt. Aber auch bei Platzmangel wussten wir uns zu helfen.

An den Bahnsteigen gab es damals schon nahezu überall einen Aufzug, damit wir Kinder unsere Fahrräder nicht die Treppen hoch und runter tragen mussten. War doch mal kein Fahrstuhl am Bahnsteig, musste eben Papa oder Mama ein, zwei mal öfter die Treppen hoch und runter.

In Lindau selbst fuhren wir jeden Tag mit dem Fahrrad. Das Hotel lag 3 Kilometer von der Insel entfernt und war bequem in 10 bis 15 Minuten zu erreichen. Da wir in Bayern immer recht spät Sommerferien hatten, die sich bis in den September reinzogen und wir meist erst in den letzten ein, zwei Wochen in den Urlaub fuhren, mussten wir auch mit Regen rechnen. Das stellte jedoch nie ein Problem dar, denn die komplette Regenmontur war immer mit im Gepäck oder man pausierte eben kurz in Sommerkleidung unter einem großen Baum, bis der Regen nachließ.

Neben einem kurzen Fahrrad-Ausflug nach Bregenz waren auch kleinere Tagestrips mit dem Rad stets auf dem Programm. So fuhren wir von Lindau aus mit Stopp in Wasserburg und Langenargen nach Friedrichshafen; eine schöne 22 Kilometer Tour immer auf gut befahrbaren Radwegen am Bodensee entlang. Von hier aus ging es später auch mal weiter nach Ravensburg ins Landesinnere. Wenn wir Kinder nach diesem Tagestrip mit Rad fahren und Städtebesichtigung zu müde für den Heimweg waren, ging es eben mit dem Zug im Fahrradabteil wieder zurück nach Lindau.

Dieser Urlaub hat mir immer so gut gefallen, dass ich auch heute immer wieder gern meine Ferien dort verbringe.

Alltag ohne Auto

Wir lebten in einem Ort 6 Kilometer von der Stadt entfernt. Diese kurze Strecke wurde regelmäßig mit dem Fahrrad zurückgelegt. Zwar fuhren auch Busse im Viertelstunde-Takt, aber Radstraßen und Radwege führten sicher und bequem in die Stadt, sodass wir uns das Busticket oft sparten.

Als meine Schwester und ich noch nicht selbst Fahrrad fahren konnten, wurden wir im Kinderfahrradanhänger und auch im Fahrradsitz transportiert. Und so ging es los: zum Kindergarten, zum Dorffest, zum Einkaufen, in die Stadt; eben überall hin, wo andere aus Bequemlichkeit das Auto nehmen. Zu meiner Schule in der Stadt fuhr ich später dann jeden Tag mit dem Fahrrad, bis in den Winter hinein.

Wozu also ein Auto unterhalten, wenn es mit öffentlichen Verkehrsmitteln und einer Garage voller Fahrräder und Kinderanhänger genau so gut geht. Natürlich kann man sich in den Ferien auch mal ein Auto mieten, mit dem man die Gegend in kurzer Zeit weitreichender erkunden kann.

Aber ein eigenes Auto wurde für mich erst zum Thema, als ich mit 18 Jahren eine Ausbildung in einem kleinen Ort namens Treppendorf, nahe Bamberg, anfing, der ohne Auto nicht zu erreichen ist. Eine Busverbindung bis dort hin gibt es nicht und im Winter schneit es dort doch hin und wieder. Den Arbeitsweg jeden Tag mit dem Fahrrad zurückzulegen, kam demnach leider nicht in Frage. Und so habe ich heute neben meinem Fahrrad auch ein Auto, aber (noch?!) keine eigene Familie. Der Hund kommt erst, wenn ich mit meinem Studium fertig bin. Und dann geht’s mit Hundeanhänger auf Reisen.

Ich bin froh solch eine Kindheit erlebt zu haben und zu wissen, dass es auch ohne Auto geht. Für manch einen ist schon das Bus- oder Zugfahren die reinste Herausforderung. Auch heute fahre ich noch mit Begeisterung Fahrrad und habe einen Teil des Ostseeküstenradwegs für mich erkundet, den wir mit der Familie damals noch nicht angegangen sind.